23 Aug. 2024 Sind entgangene Einkünfte aus „nicht angemeldeter“ Erwerbstätigkeit bei der Berechnung des Schadensersatzes wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ersatzfähig?

Der Oberste Gerichtshof hat kürzlich in einer Rechtssache entschieden, in der es um die Frage geht, ob Einkünfte, die der Geschädigte vor dem Haftungsereignis erzielt hat und auf die zu Unrecht keine Steuern und Beiträge gezahlt wurden (so genannte Einkünfte aus „nicht angemeldeter“ Erwerbstätigkeit), bei der Berechnung des Schadensersatzes wegen verminderter Erwerbsfähigkeit berücksichtigt werden können.

Der Sachverhalt

Was war hier im Spiel? Im Januar 2015 verlegte der Geschädigte, der seit 1997 ein Einzelunternehmen im Bereich Internetprodukte, Überwachungskameras und Satellitenschüsseln betreibt, im Auftrag einer Grundschule Internetkabel. Bei der Durchführung der Arbeiten stürzte er von einer von der Schule zur Verfügung gestellten Leiter. Durch den Sturz zog er sich Verletzungen am Knöchel zu. Der Geschädigte machte die Schule für seinen Schaden haftbar. Die Haftung für die Folgen des Sturzes wurde vom Haftpflichtversicherer der Schule anerkannt.

Im Rahmen der Schadensregulierung wurde auf gemeinsamen Antrag der Parteien von einem Wirtschaftsprüfer ein Geschäftsbericht erstellt. Demnach betrug das Betriebsergebnis des Einzelunternehmens des Geschädigten vor Steuern im Jahr 2012 10.270 €, im Jahr 2013 8.865 € und im Jahr 2014 11.646 €. In den Gesprächen mit dem Versicherer über die Schadensregulierung vertrat der Geschädigte den Standpunkt, dass er neben den oben genannten Einkünften auch Einkünfte hatte, die in den Aufzeichnungen nicht berücksichtigt wurden. Unter Berücksichtigung dieser Einkünfte würde sich sein Einkommen im Jahr 2013 auf 51.500 € und im Jahr 2014 auf 51.750 € belaufen. Er gab an, diese Einkünfte aus Verkaufstransaktionen in seinem Geschäft erzielt zu haben, die er nicht verbuchte, sowie aus Arbeiten wie der Installation von Kameraanlagen, Satellitenschüsseln und Tonanlagen. Diese Arbeiten wurden nach Ladenschluss von ihm selbst oder von zu diesem Zweck angeheuerten Arbeitern auf Abruf ausgeführt, die ebenfalls nicht in den Büchern erfasst wurden. Auf diese Einkünfte hat er keine Einkommensteuer gezahlt.

Das Verfahren in erster Instanz

In einem Teilstreitverfahren nach § 1019w Rv beantragte der Versicherer, dass für den Fall, dass es dem Geschädigten gelingen sollte, nachzuweisen, dass er vor dem Unfall Einkünfte aus nicht angemeldeter Erwerbstätigkeit hatte (und dass er diese nicht angemeldete Erwerbstätigkeit ohne den Unfall fortgesetzt hätte), die Einkünfte aus nicht angemeldeter Erwerbstätigkeit bei der Bestimmung des Umfangs der Entschädigung, die der Versicherer dem Geschädigten für den Verlust der Arbeitsfähigkeit zu leisten hat, außer Acht gelassen werden sollten. Dieser Antrag wurde vom Landgericht abgelehnt.

Berufung

Der Versicherer legte daraufhin Berufung ein.
Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Landgerichts:
„Soweit der Geschädigte einen Schaden dadurch erlitten hat, dass er infolge des Unfalls nicht mehr in der Lage ist, durch Arbeit das gleiche Einkommen zu erzielen, das er ohne den Unfall erzielt hätte, kann dieser Schaden nicht als Schaden an einem außerrechtlichen Interesse angesehen werden. Denn sein Schaden besteht nicht in dem entgangenen Schwarzgeld als solchem, sondern in dem Verlust der Erwerbsfähigkeit. Die hier von der Schule gegenüber dem Geschädigten verletzte Norm - die Pflicht zur Bereitstellung einer sicheren Leiter - dient dem Schutz vor diesem Schaden, so dass auch das Relativitätserfordernis erfüllt ist. Der Umstand, dass der Geschädigte selbst eine Norm gegenüber dem Fiskus verletzt hat, indem er es versäumt hat, Steuern und Abgaben auf die geleistete Arbeit zu zahlen, ist davon unabhängig."

kassation

In der Kassationsbeschwerde rügte der Versicherer, das Berufungsgericht habe verkannt, dass bei der Bemessung des Schadensersatzes wegen verminderter Arbeitsfähigkeit Einkünfte aus nicht angemeldeter Erwerbstätigkeit, die der Geschädigte vor dem Haftungsfall erzielt hat, nicht zu berücksichtigen sind.
Der Geschädigte habe darzulegen und zu beweisen, ob und in welchem Umfang er in der hypothetischen Situation ohne das haftungsbegründende Ereignis über ein weißes Einkommen hätte verfügen können und weiterhin verfügen würde. Soweit es nicht plausibel war, dass der Geschädigte in der hypothetischen Situation die gleiche Arbeit (im gleichen Umfang) weiß verrichtet hätte, hatte der Geschädigte darzulegen und zu beweisen, dass und welche anderen Möglichkeiten er gehabt hätte, um andere weiße Einkünfte zu erzielen und in welcher Höhe. Der Versicherer vertrat die Auffassung, dass die Strafbarkeit und Rechtswidrigkeit der Schwarzarbeit es ausschließe, der Darlegungs- und Beweislast des Geschädigten in diesem Punkt nachzukommen.

Die Beschwerden des Versicherers blieben erfolglos. Der Oberste Gerichtshof entschied wie folgt:

"Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs sind das Vorliegen und der Umfang eines Schadens wegen verminderter Arbeitsfähigkeit infolge eines haftungsbegründenden Ereignisses durch Vergleich des Einkommens des Geschädigten in der tatsächlichen Situation nach diesem Ereignis mit dem Einkommen zu ermitteln, das der Geschädigte in der hypothetischen Situation ohne dieses Ereignis (im Folgenden: hypothetische Situation) erzielt hätte. Grundsätzlich liegt die Beweislast für das Vorliegen und den Umfang des Schadens beim Geschädigten. An den Geschädigten dürfen jedoch keine strengen Anforderungen gestellt werden, wenn er die tatsächliche und die hypothetische Situation vergleicht. Beim Vergleich der tatsächlichen mit der hypothetischen Situation müssen vernünftige Schätzungen darüber angestellt werden, wie sich das Einkommen des Geschädigten entwickeln wird oder wie es sich ohne das Haftungsereignis entwickelt hätte. Diese Schätzungen beruhen auf vernünftigen Erwartungen hinsichtlich der künftigen Entwicklung der Arbeitsfähigkeit des Geschädigten nach diesem Ereignis bzw. ohne dieses Ereignis. Dabei sind die guten und schlechten Chancen abzuwägen, wobei das Gericht einen erheblichen Beurteilungsspielraum hat.

Bei der Schätzung des Schadensumfangs aufgrund der verminderten Arbeitsfähigkeit kann das Einkommen aus einer nicht angemeldeten Erwerbstätigkeit des Geschädigten in der Zeit vor dem haftungsbegründenden Ereignis berücksichtigt werden - sofern die Arbeit als solche rechtmäßig ausgeübt werden kann. Die Tatsache, dass der Geschädigte vor dem haftungsbegründenden Ereignis über ein solches Einkommen verfügte, deutet nämlich darauf hin, dass der Geschädigte in der Lage war, durch Arbeit ein Einkommen zu erzielen, und sagt somit etwas über seine zu diesem Zeitpunkt bestehende Arbeitsfähigkeit aus.

Wenn der Geschädigte vor dem haftungsbegründenden Ereignis über Einkünfte aus nicht angemeldeter Erwerbstätigkeit verfügte, deren Ausübung als solche rechtmäßig ist, ist zu prüfen, (i) ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Geschädigte in der hypothetischen Situation eine solche Erwerbstätigkeit ausgeübt oder an ihrer Stelle eine andere Erwerbstätigkeit ausgeübt hätte, und (ii) welches Nettoeinkommen der Geschädigte nach Einbehaltung oder Abführung der geschuldeten Steuern und Beiträge aus der genannten Erwerbstätigkeit erzielt hätte."

Schlussfolgerung

Die Berufung wurde vom Obersten Gerichtshof zurückgewiesen. Der Oberste Gerichtshof bestätigte, dass entgangenes Einkommen aus nicht angemeldeter Erwerbstätigkeit entschädigungsfähig sein kann.

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