Es kommt regelmäßig vor, dass ältere Menschen auf die Pflege durch andere angewiesen sind. Manchmal handelt es sich dabei um Pflege durch Familienangehörige, aber auch Nachbarn oder Freunde übernehmen diese Rolle. In solchen Situationen kann Dankbarkeit zu großzügigen Schenkungen führen. Was aber, wenn der Schenkende in einer schwachen Position ist und der andere dadurch unangemessenen Einfluss ausübt?
Das Gericht Rotterdam hat am 9. Juli 2025 (ECLI:NL:RBROT:2025:9724) ein Urteil zu diesem Thema gefällt. In diesem Artikel erläutern wir, was Missbrauch von Umständen bei Schenkungen bedeutet, wie der Richter dies beurteilt und was Sie in der Praxis tun können, um Probleme zu vermeiden oder anzugehen.
Was ist Missbrauch von Umständen?
Ausnutzung von Umständen bedeutet, dass jemand eine andere Person zu einer Rechtshandlung – wie beispielsweise einer Schenkung – bewegt, obwohl er weiß oder verstehen muss, dass diese andere Person aufgrund besonderer Umstände nicht frei entscheiden kann. Denken Sie dabei an Abhängigkeit, geistige Einschränkungen oder eine Beziehung, die auf Fürsorge und Vertrauen basiert.
Typische Situationen sind:
-ältere Menschen, die aufgrund von Krankheit oder kognitivem Verfall von einer Person abhängig sind;
-pflegende Angehörige oder Nachbarn, die Zugang zu Bankkarten und Unterlagen haben;
-langjährige Freundschaften, in denen eine Partei immer mehr Pflegeaufgaben übernimmt.
In solchen Fällen kann eine Schenkung anfechtbar sein.
Das Gesetz und der Missbrauch von Umständen
Die gesetzliche Grundlage findet sich in Artikel 3:44 BW. Darin heißt es, dass eine Rechtshandlung anfechtbar ist, wenn sie durch Missbrauch von Umständen zustande gekommen ist.
Speziell für Schenkungen gilt darüber hinaus eine Sonderregelung: Artikel 7:176 BW. Daraus folgt, dass der Beschenkte nachweisen muss, dass kein Missbrauch vorliegt, sobald davon auszugehen ist, dass sich der Schenkende in einer abhängigen oder schutzbedürftigen Lage befand.
Mit anderen Worten: Im Zweifelsfall kehrt sich die Beweislast um. Der Empfänger der Schenkung muss dann nachweisen, dass die Schenkung freiwillig und bewusst erfolgt ist.
Der Fall vor dem Gericht in Rotterdam
Im aktuellen Fall in Rotterdam ging es um einen Mann, der seit Jahren mit Alkoholabhängigkeit, schwerer Vernachlässigung und kognitiven Störungen zu kämpfen hatte. Er wurde 2023 unter Vormundschaft gestellt.
Eine Nachbarin kümmerte sich intensiv um ihn, erledigte Einkäufe und Hausarbeiten. Im Zeitraum 2020-2021 erhielt sie von ihm Spenden in Höhe von über 98.000 Euro. Nach der Bestellung des Vormunds forderte dieser den Betrag aufgrund von Ausnutzung der Umstände zurück.
Zeugenaussagen:
-Die Nachbarin gab an, dass der Mann sein Geld aus eigenem Antrieb verschenken wollte, da er es ohnehin nicht ausgeben würde.
-Der Hausarzt und ein Facharzt für Geriatrie beschrieben hingegen schwere Vernachlässigung, kognitive Störungen und eine Willensunfähigkeit.
-Das Gericht hielt die Aussagen von Familienangehörigen der Nachbarin für nicht glaubwürdig, da sie ein unmittelbares Interesse am Ausgang des Verfahrens hatten.
.Urteil des Gerichts:
-Der Mann war stark von der Nachbarin abhängig.
-Er litt unter kognitiven Störungen und schwerer Sucht.
-Die Nachbarin hob auch ohne ihn große Beträge ab.
-Es wurde nicht ausreichend glaubhaft gemacht, dass die Schenkungen frei und bewusst getätigt wurden.
.
.Daher wurden die Schenkungen für nichtig erklärt. Die Nachbarin muss 98.039,70 € zurückzahlen, zuzüglich der gesetzlichen Zinsen ab dem Datum jeder Schenkung. Außerdem wurde sie zur Zahlung der Prozesskosten in Höhe von fast 7.000 € verurteilt.
Rechtsprechung im Überblick
Dieses Urteil steht im Einklang mit früheren Urteilen, in denen Gerichte streng prüfen, ob ein schutzbedürftiger älterer Mensch bewusst schenkt.
-In ähnlichen Fällen wurde immer betont, dass die Beweislast beim Empfänger der Schenkung liegt (Art. 7:176 BW).
-Außerdem haben medizinische Unterlagen und Gutachten unabhängiger Ärzte oft mehr Gewicht als subjektive Aussagen von Familienangehörigen oder des Begünstigten selbst..
Der Fall zeigt, dass Richter Schenkungen im Kontext von Abhängigkeit sehr kritisch betrachten.
Praktische Hinweise
Wenn Sie Probleme im Zusammenhang mit Schenkungen vermeiden oder lösen möchten, beachten Sie bitte die folgenden Punkte:
-Halten Sie Schenkungen schriftlich fest: Lassen Sie einen Anwalt einen Schenkungsvertrag oder einen Notar eine Schenkungsurkunde aufsetzen, insbesondere bei hohen Beträgen.
-Sorgen Sie für eine medizinische Begründung: Lassen Sie festhalten, dass der Schenkende geschäftsfähig ist, insbesondere bei älteren oder kranken Personen.
-Vermeiden Sie Abhängigkeitsverhältnisse: Seien Sie als Pflegeperson oder Nachbar zurückhaltend, wenn Sie große Geschenke annehmen.
-Kontrollieren Sie den Zugang zum Bankkonto: Gewähren Sie nur dann Zugang zu Bankkonten, wenn dies unbedingt notwendig ist, und halten Sie dies schriftlich fest.
-Vormundschaft oder Pflegschaft: Bei Zweifeln an der Willensfähigkeit kann rechtzeitig eine Vormundschaft oder Pflegschaft beantragt werden, um Missbrauch zu verhindern.
-Konsultieren Sie einen Anwalt: Bei Zweifeln oder Konflikten kann eine Rechtsberatung viele Probleme und hohe Kosten ersparen..
Fazit
Das Urteil des Gerichts Rotterdam vom 9. Juli 2025 betont, dass Schenkungen an eine abhängige oder schutzbedürftige Person schnell anfechtbar sind. Es geht nicht nur darum, ob jemand formal geschäftsfähig ist, sondern auch darum, ob er aufgrund der Umstände tatsächlich frei entscheiden konnte.
Für Empfänger von Schenkungen gilt: Seien Sie wachsam und transparent und sorgen Sie für eine klare Dokumentation. Für Familienangehörige und Betreuer: Seien Sie sich bewusst, dass das Gesetz einen soliden Schutz vor finanziellem Missbrauch schutzbedürftiger Personen bietet.
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