Vor dem Gericht Noord-Holland wurde kürzlich von einem Mieter von Geschäftsräumen, der erhebliche Mietrückstände hatte, beantragt, die bereits angeordnete Räumung auszusetzen. Wessen Interesse wog nach Ansicht des Gerichts schwerer, das des Mieters oder das des Vermieters?
Der Sachverhalt
Seit dem 1. April 2017 mietete der Mieter eine Gewerbefläche, in der er ein Unternehmen betrieb. Nach einigen Jahren zahlte der Mieter die Miete regelmäßig zu spät und die Miete des laufenden Monats wurde in Teilbeträgen gezahlt. Nachdem ein erheblicher Rückstand entstanden war, leitete der Vermieter ein Verfahren ein und forderte die Zahlung des Rückstands sowie die Räumung der gemieteten Räumlichkeiten. Der Mieter wurde zur Zahlung verurteilt, aber die (mit) beantragte Räumung wurde abgelehnt, da der Mieter kurz vor der Verhandlung einen erheblichen Betrag gezahlt hatte. Damit lag kein erheblicher Mietrückstand mehr vor. Da die Mietrückstände danach weiter anstiegen und der Mieter trotz wiederholter Aufforderungen nicht zahlte, beantragte der Vermieter erneut die Zahlung und Räumung. Diesmal gab der Richter im Eilverfahren auch der Räumung statt.
Nach Ansicht des Eilrichters ist die (rechtzeitige) Zahlung der Miete eine der wesentlichen Pflichten des Mieters. Der Mieter war dieser Pflicht wiederholt nicht nachgekommen. Trotz der Bereitschaft des Mieters, die Rückstände aufzuholen, gab es keine Anzeichen dafür, dass er dazu in der Lage war und dass sich die Situation verbessern würde. Der Mieter hatte eingeräumt, dass sein Unternehmen bei der derzeitigen Höhe der Miete nicht rentabel sei und dass er auch andere Schulden habe. Der Vermieter hatte dem Mieter zudem über einen längeren Zeitraum hinweg mehrere Gelegenheiten gegeben, die gesamte Miete nachzuzahlen, was jedoch zu keinem Ergebnis geführt hatte. Das Interesse des Vermieters, den Mietausfall zu begrenzen und die gemietete Wohnung zu räumen, wog daher schwerer als das Interesse des Mieters, die gemietete Wohnung weiterhin zu nutzen.
Der Vermieter ließ dem Mieter daraufhin das Urteil zustellen und kündigte die Räumung des Mietobjekts an. Darüber hinaus ließ der Vermieter die Wohnung des Mieters zwangsvollstrecken. Der Mieter war damit nicht einverstanden und legte gegen das Urteil Berufung ein. Außerdem leitete der Mieter ein Eilverfahren ein. Der Mieter beantragte, die Vollstreckung des Urteils auszusetzen, solange das Berufungsverfahren noch anhängig war.
Der Vollstreit
Der Mieter begründete seine Forderung damit, dass der Vermieter keine so schwerwiegenden (rechtlich zu respektierenden) Interessen habe, dass die Entscheidung in der Berufungsinstanz nicht abgewartet werden könne, während er selbst ein schwerwiegendes Interesse an der Aussetzung der Vollstreckung habe. Eine Räumung würde ihm die Möglichkeit nehmen, Einnahmen zu erzielen und das Unternehmen (privat) zu verkaufen, womit die Forderung des Vermieters (geschätzt auf ca. 150.000 bis 200.000 Euro) beglichen werden könnte. Außerdem würde ihm dadurch ein erheblicher zusätzlicher Schaden entstehen. Der Zwangsverkauf seines Hauses würde zu hohen Vollstreckungskosten und einem niedrigen(eren) Kaufpreis führen.
Der Vermieter machte geltend, dass grundsätzlich davon auszugehen sei, dass eine ausgesprochene Verurteilung während des Berufungsverfahrens vollstreckt werden könne und dass die Vollstreckung des Urteils nicht rechtswidrig sei. Die Mietrückstände hätten sich seit dem Urteil nicht wesentlich verändert, und angesichts der früheren Zahlungsrückstände habe der Vermieter kein Vertrauen mehr, dass der Mieter sich an weitere Vereinbarungen halten würde. Die Argumente des Mieters, warum die Vollstreckung des Urteils ausgesetzt werden sollte, waren nicht ausreichend begründet, und auch der Verkaufswert des Unternehmens war nicht ausreichend begründet. Darüber hinaus war nicht ersichtlich, dass es bereits einen Käufer bzw. Investor für das Unternehmen des Mieters gab.
Die Beurteilung
Ausgangspunkt ist, dass ein rechtskräftiges Urteil, solange ein Rechtsmittel anhängig ist, vollstreckbar sein muss und ohne die Bedingung einer Sicherheitsleistung vollstreckt werden kann. Eine Abweichung von diesem Grundsatz kann durch Umstände gerechtfertigt sein, die dazu führen, dass das Interesse des Verurteilten an der Aufrechterhaltung des bestehenden Zustands, solange über den von ihm eingelegten Rechtsbehelf noch nicht entschieden ist, oder sein Interesse an einer Sicherheitsleistung auch unter Berücksichtigung dieses Grundsatzes schwerer wiegt als das Interesse desjenigen, der die Verurteilung in dem zu vollstreckenden Urteil erwirkt hat, bei der vorläufigen Vollstreckbarkeit desselben oder bei dieser Vollstreckbarkeit, ohne dass damit die Bedingung der Sicherheitsleistung verbunden ist.
Bei der Anwendung dieses Maßstabs in einem Eilverfahren ist von den Entscheidungen in der zu vollstreckenden Entscheidung und den ihr zugrunde liegenden Feststellungen und Urteilen auszugehen. Die Erfolgsaussichten der gegen diese Entscheidung eingelegten oder noch einzulegenenden Rechtsmittel bleiben unberücksichtigt, mit der Maßgabe, dass der Richter im Eilverfahren in seiner Beurteilung berücksichtigen kann, ob die zu vollstreckende(n) Entscheidung(en) auf einem offensichtlichen Irrtum beruht (beruhen).
Der Richter stellte fest, dass der Mieter seit geraumer Zeit seinen Zahlungsverpflichtungen aus dem Mietvertrag nicht (vollständig bzw. rechtzeitig) nachgekommen war, dass der Zahlungsrückstand nach wie vor unvermindert hoch war und dass der Mieter auch nach der Urteilsverkündung weiterhin mit der rechtzeitigen Zahlung der Miete in Verzug war. Außerdem hatte der Mieter seit der Urteilsverkündung keine konkreten Schritte unternommen, um den Verkauf des Unternehmens zu realisieren. Daher gab es zu diesem Zeitpunkt keine konkrete Aussicht, dass die Mietrückstände durch den Verkauf des Unternehmens an den Vermieter beglichen werden konnten. Darüber hinaus hatte der Mieter nicht nachgewiesen, dass der von ihm vorgeschlagene „Tilgungsplan” in Höhe von 2.250 € pro Woche eine strukturelle Zahlungsmöglichkeit darstellte, die er bis zur Entscheidung über die Berufung weiterhin erfüllen würde (könnte). Nach Ansicht des Richters im Eilverfahren hatte der Mieter gegenüber dem Interesse des Vermieters, nicht das Risiko einer weiteren Erhöhung der Mietrückstände einzugehen, kein ausreichendes Interesse an einer vollständigen Aussetzung des Urteils bis zur Entscheidung in der Berufungsinstanz.
Dem stand jedoch nach Ansicht des Richters in der einstweiligen Verfügung gegenüber, dass eine Räumung des Mietobjekts unbestreitbar zu einem großen Schaden für den Mieter führen würde, da das Unternehmen dann von einem möglichen Käufer nicht mehr als „going concern” weitergeführt werden könnte. Die sofortige Räumung des in den gemieteten Räumlichkeiten betriebenen Unternehmens würde somit unmittelbar zu einem Ausfall des Umsatzes (und jeder Möglichkeit, diesen zu generieren) führen, wodurch der Mieter ab demselben Datum auch seinen Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem Vermieter nicht mehr nachkommen könnte. Außerdem würde das Inventar des Unternehmens bei sofortiger Entfernung aus dem gemieteten Gebäude infolge der Räumung einen geringeren Goodwill erzielen als beim Verkauf des Unternehmens einschließlich aller Zubehörteile. Mit anderen Worten: Die sofortige Vollstreckung des Urteils würde aller Wahrscheinlichkeit nach zu einer erheblichen Kapitalvernichtung für den Mieter führen, mit dem zusätzlichen Nachteil, dass sich auch die Möglichkeiten zur Rückzahlung der Schulden des Mieters gegenüber dem Vermieter erheblich verringern würden. Hinzu kam, dass der Vermieter in der Verhandlung angegeben hatte, noch keinen neuen Mieter zu haben, so dass er auch nach der Räumung durch den Mieter zumindest vorläufig keine Mieteinnahmen erzielen würde.
Angesichts der Bedeutung der Werterhaltung des Unternehmens für den Verkauf (und damit der Möglichkeit, die Mietschuld auf einmal zu tilgen) in Verbindung mit der Tatsache, dass der Vermieter bei einer sofortigen Räumung vorläufig keine Mieteinnahmen erhalten würde, war der Richter in der einstweiligen Verfügung der Ansicht, dass das Interesse des Mieters an einer vorübergehenden Aufrechterhaltung des bestehenden Zustands während der Verhandlung der von ihm eingelegten Berufung schwerer wog als das Interesse des Vermieters an der sofortigen Vollstreckung des Urteils.
Aufgrund des Vorstehenden waren nach Ansicht des Richters im Eilverfahren beide Parteien an einer vorübergehenden Ordnungsmaßnahme interessiert, die den Interessen aller gerecht wird. Sowohl dem Interesse des Vermieters an der (möglichen) Einziehung der Mietzahlungen und der Mietrückstände als auch dem Interesse des Mieters an der Erzielung ausreichender Umsätze und der Suche nach einem Übernahmekandidaten, um seine Schulden gegenüber dem Vermieter (möglicherweise) begleichen zu können.
Der Richter im Eilverfahren setzte daher die Räumung der Geschäftsräume vorübergehend aus, um dem Mieter die Möglichkeit zu geben, sein Unternehmen zu verkaufen und die Mietrückstände aus dem Verkaufserlös zu begleichen. Der Mieter musste jedoch weiterhin pünktlich (jeden Montag) seine zugesagten wöchentlichen Zahlungen in Höhe von 2.250 € leisten. Bei nicht fristgerechter Zahlung würde die Aussetzung erlöschen und der Vermieter könnte dennoch die Räumung vornehmen.
Fazit
Der Richter im Eilverfahren kam in diesem Fall im Interesse beider Parteien zu einer bedingten Aussetzung. Trotz der erheblichen Zahlungsrückstände erhielt der Mieter unter bestimmten Bedingungen eine vorübergehende Aussetzung der Räumung, da eine strukturelle Lösung in Aussicht stand, die auch im Interesse des Vermieters lag. Durch den Verkauf des Unternehmens könnten die Mietrückstände beglichen werden.
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