Bereits in einem früheren Artikel haben wir erläutert, welche Rechte und Pflichten kranke Grenzgänger/Grenzgängerinnen und ihre Arbeitgeber haben (siehe:
Auch haben wir bereits über das Urteil des niederländische Gericht [Rechtbank] Overijssel von 2016 über die Wiedereingliederungsverpflichtungen und das Recht auf Lohnfortzahlung eines kranken Grenzgängers berichtet (siehe: https://www.spee-advocaten.nl/zieke-grensarbeider-opgelet). Im März 2017 hat das Gericht Overijssel ein neues Urteil in einem Grenzgängerfall erlassen.
Auch in dieser Rechtssache ging es um eine Grenzgängerin (wohnhaft in Deutschland und berufstätig in den Niederlanden), die krankheitsbedingt ausgefallen war. Die Arbeitnehmerin hatte jeweils ordnungsgemäß die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ihres deutschen Hausarztes an ihren Arbeitgeber geschickt. Irgendwann entstand zwischen dem Arbeitgeber und der Arbeitnehmerin ein Konflikt bezüglich der Wiedereingliederung, hauptsächlich über die Frage, ob die Arbeitnehmerin imstande sei, eine angemessene Tätigkeit auszuüben. Die Arbeitnehmerin weigerte sich nämlich –entgegen der Empfehlung des Betriebsarztes [bedrijfsarts/arbodienst] –,eine angemessene Tätigkeit auszuüben. Aus diesem Grund stellte der Arbeitgeber die Zahlung des Gehalts an die Arbeitnehmerin ein.
Daraufhin strengte die Arbeitnehmerin ein Gerichtsverfahren an, in dem sie verlangte, dass ihr Gehalt bezahlt wird.
Besonders an diesem Fall ist, dass die Arbeitnehmerin das Gehalt schon früher vor Gericht eingeklagt hatte und die Klage damals vom Gericht jedoch für unzulässig erklärt wurde. Dessen ungeachtet wurde die Klage der Arbeitnehmerin, die nun dieselbe Klage bezüglich des Gehalts zum zweiten Mal einreicht, in diesem Verfahren für zulässig erklärt.
Der Amtsrichter [kantonrechter] erwog, dass es ausreicht, wenn eine Grenzgängerin eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorweist. Eine solche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung weiche zwar von der üblichen Beurteilung, wie sie in den Niederlanden jeweils vom Betriebsarzt und dem niederländischen Sozialversicherungsträger UWV abgegeben wird, ab und enthält nur summarische Informationen, dass in Deutschland jedoch eine andere Art der Bescheinigung ausgestellt werde, als wir es in den Niederlanden gewohnt sind, dürfe nicht der Arbeitnehmerin angelastet werden. Die Grenzgängerin ist also – im Gegensatz zu einem gewöhnlichen niederländischen Arbeitnehmer – nicht verpflichtet, ein Gutachten des niederländischen Sozialversicherungsträgers UWV zu beantragen. Eine kranke Grenzgängerin wird nämlich von der europäischen Gesetzgebung geschützt. Ungeachtet dessen, kann der niederländische Arbeitgeber die Grenzgängerin aber dazu auffordern, sich an Wiedereingliederungsmaßnahmen zu beteiligen. Die Arbeitnehmerin muss sich beteiligen und darf dies nicht ohne guten Grund verweigern, so der Amtsrichter.
In diesem Fall war die Arbeitnehmerin nach der Beurteilung des Betriebsarztes fähig, 4 Stunden pro Tag zu arbeiten, und nach zwei Wochen sollte die Arbeitszeit auf 6 Stunden pro Tag erweitert werden können. Die Arbeitnehmerin hingegen behauptete, dass sie arbeitsunfähig sei und verwiese auf die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Der Amtsrichter urteilte, dass die Arbeitsunfähigkeit in Bezug auf die eigentliche Arbeit nicht verhindere, dass die Arbeitnehmerin, unter Berücksichtigung ihrer Einschränkungen, eine angemessene Tätigkeit ausüben könne, wie es der Betriebsarzt empfohlen hatte. Da sich die Arbeitnehmerin aber geweigert hatte, eine solche angemessene Tätigkeit auszuüben, hatte der Arbeitgeber zu Recht eine „Lohnsanktion“ verhängt. Das heißt, dass die Gehaltsforderung der Arbeitnehmerin in diesem Punkt zurückgewiesen wurde.
Neben der Einrede der Arbeitnehmerin, dass sie keine angemessene Tätigkeit ausgeübt habe, weil sie arbeitsunfähig sei, führte die Arbeitnehmerin noch eine weitere Einrede an. Sie führte an, ein weiterer Grund, warum sie der Aufforderung des Arbeitgebers, eine angemessene Tätigkeit auszuüben, nicht Folge geleistet habe, sei, die Tatsache, dass ihr Arbeitnehmer ihr Gehalt nicht mehr bezahlt habe. Sie berief sich also auf ein sogenanntes Aussetzungsrecht. Der Richter verwarf auch diese Einrede der Arbeitnehmerin, denn der Arbeitgeber habe die Lohnsanktion zu Recht verhängt (die Gehaltszahlung eingestellt), weil ein Konflikt darüber entstanden war, ob die Arbeitnehmerin ihrer Arbeit zu Recht fernbleiben durfte. Deshalb durfte die Arbeitnehmerin ihre Tätigkeit nicht aussetzen. Dies gilt, nach Ansicht des Amtsrichters, ohnehin in Angelegenheiten wie dieser, in denen kranken Grenzgänger mit grenzüberschreitenden Ansprüchen in Bezug auf die soziale Sicherheit und die Anwendung nationaler gesetzlicher Vorschriften im Bereich der Wiedereingliederungsverpflichtungen Probleme entstehen. Die Arbeitnehmerin hätte also nicht das Recht in die eigene Hand nehmen dürfen, sondern hätte ein Gerichtsverfahren einleiten müssen, um eine Klärung der Streitfalls herbeizuführen.
In diesem Fall hatte die betroffene Grenzgängerin offensichtlich kein Problem damit, die Sprechstunde des Betriebsrates in den Niederlanden zu besuchen. Wäre die Grenzgängerin jedoch medizinisch nicht imstande gewesen, den Betriebsarzt in den Niederlanden zu besuchen, hätte sich die Grenzgängerin grundsätzlich weigern dürfen, die Sprechstunde des Betriebsarztes in den Niederlanden zu besuchen. Mehr dazu können Sie im Artikel lesen, den wir oben kurz erwähnt haben.
Kurzum, sowohl Arbeitgeber als auch krankgemeldete Grenzarbeiter sollten sich gut informieren und von einem erfahrenen Arbeitsrechtsanwalt über die Rechte und Pflichten bezüglich Reintegrationsmaßnahmen und dem Recht auf Lohnfortzahlung beraten lassen.
Haben Sie hierzu noch Fragen? Dann nehmen Sie gerne Kontakt mit einem unserer Arbeitsrechtsanwälte auf. Wir helfen Ihnen gerne weiter.