12 Aug. 2022 Wohnungswechsel und Sorgerecht

Wenn Sie beispielsweise einen Umzug ins Ausland planen und Sie und Ihr Ex-Partner das Sorgerecht für die Kinder haben, brauchen Sie die Zustimmung des anderen Elternteils. Wenn Sie ohne Erlaubnis weggehen, kann der andere Elternteil bei Gericht beantragen, dass Sie wieder nach Hause ziehen. Im Falle des alleinigen Sorgerechts ist diese Erlaubnis im Prinzip nicht erforderlich, aber laut Oberstem Gerichtshof kann es unter bestimmten Umständen anders sein.

Sachverhalt
In dem Fall, der vor dem Obersten Gerichtshof verhandelt wurde, spielten die folgenden Fakten eine Rolle.
Die Parteien sind die Eltern einer 2018 geborenen Tochter. Der Vater hat die Tochter vor ihrer Geburt anerkannt. Im Jahr 2018 wurde die Mutter in einem Eilverfahren aufgefordert, bei einer vorläufigen Umgangsregelung zwischen dem Vater und der Tochter mitzuwirken.

Der Vater hat die Tochter zuletzt im März 2019 gesehen. Die Mutter kündigte das Mietverhältnis für ihre Wohnung zum 1. April 2019. Seit Mitte April 2019 sind die Mutter und die Tochter als "ausgewandert" im Personengrundregister eingetragen. Es ist nicht bekannt, wo sich die Mutter mit ihrer Tochter aufhält.

Der Vater beantragte vor Gericht, ihm und der Mutter das gemeinsame Sorgerecht für die Tochter zuzusprechen und eine Besuchs- und Informations- und Konsultationsregelung zu treffen. Nachdem die Mutter ihre Auswanderung angemeldet hatte, beantragte der Vater außerdem, die Mutter anzuweisen, mit der Tochter zurück in die Niederlande zu ziehen, und ihr zu verbieten, die Tochter wieder außerhalb der niederländischen Grenzen zu bringen.

Urteil des Landsgerichts und des Bundesgerichtshofs

Das Landgericht entschied, dass das Sorgerecht für die Tochter nun dem Vater und der Mutter gemeinsam zusteht und dass die Mutter zurückziehen muss. Darüber hinaus hat das Gericht eine Betreuungsregelung und eine Informationsregelung festgelegt.

Das Bundesgerichtshof hob daraufhin den Beschluss des Landsgerichts hinsichtlich der Anordnung des Rückzugs auf und wies den entsprechenden Antrag des Vaters zurück.

 Da die Mutter zum Zeitpunkt des Umzugs das alleinige Sorgerecht für die Tochter hatte, war sie nach Ansicht des Bundesgerichtshof grundsätzlich berechtigt, die Tochter nach eigenem Ermessen zu betreuen und zu erziehen. Diese Befugnis umfasste auch die Bestimmung des Wohnsitzes der Tochter. Es trifft jedoch zu, dass die Mutter auch vor dem Antrag des Vaters auf gemeinsames Sorgerecht gemäß Artikel 1:247 (3) des niederländischen Bürgerlichen Gesetzbuchs verpflichtet war, die Entwicklung der Beziehungen der Tochter zum Vater zu fördern. Diese Verpflichtung ist mit dem Recht des Vaters und der Tochter verbunden, miteinander Kontakt aufzunehmen. Dieses Recht wird für den nicht sorgeberechtigten Elternteil durch Artikel 8 EMRK und Artikel 1:377a Absatz 1 BW und für das Kind nicht nur durch die letztgenannte Bestimmung, sondern auch durch Artikel 9 Absatz 3 KRK und Artikel 24 Absatz 3 der Charta der Grundrechte der EU garantiert.

Nach Artikel 1:377b des niederländischen Bürgerlichen Gesetzbuchs war die Mutter als sorgeberechtigter Elternteil auch verpflichtet, den Vater über wichtige Angelegenheiten, die die Person und das Vermögen des Kindes betreffen, zu informieren und ihn - erforderlichenfalls unter Einschaltung Dritter - zu den diesbezüglich zu treffenden Entscheidungen zu konsultieren.

Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs hat die Mutter die ihr obliegenden Pflichten grob vernachlässigt, indem sie ohne Vorankündigung mit der Tochter weggezogen ist und bis heute keine Auskünfte über den (Verbleib der) Tochter erteilt hat, so dass seit März 2019 keinerlei Kontakt zwischen dem Vater und der Tochter mehr möglich ist. Dies gilt umso mehr, als die Mutter damit gegen eine gerichtlich angeordnete Besuchsregelung verstieß und zum Zeitpunkt der Abreise bereits ein Antrag des Vaters auf gemeinsames Sorgerecht anhängig war. Anders als das Landgericht kam das Bundesgerichtshof jedoch nicht zu dem Schluss, dass die Mutter zum Rückumzug aufgefordert werden sollte.

Auf der Grundlage von Artikel 8 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) sind die nationalen Behörden, einschließlich der Gerichte, verpflichtet, alle Anstrengungen zu unternehmen, um das Recht auf ein "Familienleben" zwischen Eltern und ihren Kindern zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang kann der Richter z. B. eine Untersuchung anordnen oder rechtliche Zwangsmittel einsetzen, um eine Besuchsregelung durchzusetzen. Weder Artikel 8 der EMRK noch Artikel 1:247 (3) des niederländischen Bürgerlichen Gesetzbuchs könnten jedoch als Grund dafür dienen, dem Antrag des Vaters auf Anordnung des Rückzugs der Mutter stattzugeben.

Der Vater war mit diesem Urteil des Bundesgerichtshofs nicht einverstanden und legte beim Obersten Gerichtshof Berufung ein.

Urteil des Obersten Gerichtshofs

Bei gemeinsamem Sorgerecht hat der Richter auf der Grundlage von Artikel 1:253a des niederländischen Bürgerlichen Gesetzbuchs die Möglichkeit, dem Elternteil, bei dem das Kind seinen Hauptwohnsitz hat, zu verbieten, in großer Entfernung vom anderen Elternteil zu leben, oder anzuordnen, dass der Elternteil, der den Hauptwohnsitz hat, zurückzieht oder sich in einer solchen Entfernung vom anderen Elternteil niederlässt, dass der Kontakt zwischen dem Kind und diesem Elternteil stattfinden kann.

Obwohl die Mutter zum Zeitpunkt ihres Umzugs das alleinige Sorgerecht hatte und daher grundsätzlich frei über den Wohnort für sich und die Tochter entscheiden konnte, hatte der Vater zum Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung das gemeinsame Sorgerecht mit der Mutter. Das Berufungsgericht hatte verkannt, dass Artikel 1:253a des niederländischen Bürgerlichen Gesetzbuchs zum Zeitpunkt seiner Entscheidung eine Grundlage für die Anordnung des Rückzugs der Mutter bot.

Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs gibt es auch bei alleinigem Sorgerecht eine Grundlage für die Einschränkung der Wahlfreiheit des sorgeberechtigten Elternteils in Bezug auf den Aufenthaltsort des Kindes, wenn dieser Elternteil der Verpflichtung zur Förderung des Umgangs zwischen dem Kind und dem anderen Elternteil nicht nachkommt (Abschnitt 1:247 (3) BW). Gemäß Artikel 8 EMRK muss der Richter in einem solchen Fall alle Maßnahmen ergreifen, die im jeweiligen Fall angemessen sind, um den sorgeberechtigten Elternteil davon zu überzeugen, beim Umgang zwischen dem Kind und dem anderen Elternteil weiterhin zu kooperieren. Eine Unterlassungsanordnung an den sorgeberechtigten Elternteil, umzuziehen, oder eine Anordnung an ihn, zurück zu ziehen, kann eine geeignete Maßnahme sein. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine solche Maßnahme weniger einschneidend ist als die Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf den anderen Elternteil, die ausdrücklich im Gesetz vorgesehen ist (Artikel 1:251a Absatz 1 BW und Artikel 1:253c Absätze 1 und 3 BW).

Haben Sie Fragen zum Umzug, zum Sorgerecht oder zum Umgangsrecht, oder möchten Sie sich beraten lassen? Bitte nehmen Sie unverbindlich Kontakt mit einem unserer Anwälte auf. Wir helfen Ihnen gerne weiter.

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