Die fristlose Kündigung ist ein drastisches Mittel, für das das Gesetz drei Voraussetzungen vorsieht: (1) es muss ein dringender Grund vorliegen, (2) die fristlose Kündigung muss unverzüglich ausgesprochen werden, und (3) der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer den dringenden Grund ebenfalls unverzüglich mitteilen. Unverzüglich" bedeutet, dass der Arbeitgeber zügig handeln muss: Er muss unmittelbar nach dem Verhalten, das Anlass zur fristlosen Kündigung gibt, tätig werden. Wie steht es aber mit dieser "Unverzüglichkeit", wenn der dringende Grund für die fristlose Kündigung aus mehreren Gründen besteht? Der Oberste Gerichtshof hat in diesem Monat darüber entschieden. Lesen Sie hier mehr:
Worum geht es in dem Fall?
Der Fall betrifft den Strategic Operations Director (Mitglied der niederländischen MT) der Econocom Netherlands BV, die zu einem globalen Konzern gehört. Dieser Arbeitnehmer ist seit dem 1. Oktober 2003 angestellt. Anfang Januar 2020 meldet er sich mit Burnout krank. Während seiner Krankschreibung wird seine Arbeit beobachtet, der Arbeitgeber stellt daraufhin Unregelmäßigkeiten fest. Der Arbeitgeber beauftragt eine Detektei mit der weiteren Untersuchung.
Im Februar und März 2020 wird diese Untersuchung durchgeführt und die Untersuchungsstelle teilt Econocom die vorläufigen Ergebnisse mündlich mit. Am 19. März 2020 lädt Econocom den Arbeitnehmer zu einem Gespräch am nächsten Tag ein. Der Arbeitnehmer beantragt eine Fristverlängerung, die Econocom jedoch ablehnt. Am 20. März 2020 teilt Econocom dem Arbeitnehmer in einem Schreiben mit, dass das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung aufgelöst wird, sofern der Arbeitnehmer bis zum 25. März 2020, 18.00 Uhr, keine zufriedenstellende Erklärung für die bekannt gewordenen beunruhigenden Tatsachen vorlegt, die den dringenden Grund für eine fristlose Kündigung beseitigen könnte.
Der von Econocom angeführte dringende Grund für die unverzügliche Entlassung besteht aus 11 Gründen, und sie sind nicht abwegig: von der Entgegennahme von Schmiergeldern von der Beratungsfirma eines Freundes, die Econocom sehr hohe Beratungshonorare in Rechnung stellte, bis zum Kauf von Waren/Dienstleistungen für den privaten Gebrauch im Namen von Econocom.
Der Mitarbeiter antwortet nicht auf das Schreiben, und Econocom teilt ihm am 26. März 2020 per E-Mail mit, dass die bedingte Kündigung nun vorbehaltlos ist. Der Untersuchungsbericht erscheint am 30. April 2020.
Wie entscheiden das Gericht und das Berufungsgericht?
Der Arbeitnehmer beantragt die Aufhebung der fristlosen Kündigung und die Wiederzulassung zur Arbeit. Außerdem begehrt er die Weiterzahlung seines Gehalts ab dem 20. März 2020. Hilfsweise begehrt er eine Vertragsstrafe wegen vorschriftswidriger Kündigung, eine gesetzliche Übergangsentschädigung und eine angemessene Entschädigung.
Für den Fall, dass die fristlose Kündigung vor Gericht scheitern sollte, beantragte der Arbeitgeber eine Vertragsstrafe oder eine bedingte Kündigung des Arbeitsvertrags (wegen schuldhafter Handlungen und Unterlassungen oder wegen einer Störung des Arbeitsverhältnisses).
Das Amtsgericht entschied, dass die fristlose Kündigung gültig sei und wies die Anträge des Arbeitnehmers zurück. Der Arbeitnehmer legt Berufung ein. Das Berufungsgericht stellt daraufhin fest, dass viele der von Econocom angeführten Kündigungsgründe tatsächlich einen dringenden Grund für eine fristlose Kündigung darstellen. Allerdings: Von einer "fristlosen Entlassung" kann nach Ansicht des Berufungsgerichts keine Rede sein. Denn einige der Kündigungsgründe waren bereits um den 8./9. März 2020 klar. Mit anderen Worten: Zu diesem Zeitpunkt hätte der Arbeitgeber bereits eine fristlose Kündigung aussprechen müssen.
Das Gericht stellte das Arbeitsverhältnis nicht wieder her, hob den Beschluss des Amtsgerichts auf, gab dem Antrag des Arbeitnehmers auf Zahlung einer Abfindung statt und wies die Anträge von Econocom zurück.
Wie entscheidet der Oberste Gerichtshof?
Der Oberste Gerichtshof entschied, dass, wenn ein zusammengesetzter dringender Grund vorliegt, bei der Beurteilung, ob die Kündigung unverzüglich ausgesprochen wurde, entscheidend ist, ob in Bezug auf diesen zusammengesetzten Grund mit ausreichender Sorgfalt vorgegangen wurde. Das Gericht stufte eine Reihe von Kündigungsgründen zusammen als dringenden Grund für die fristlose Kündigung ein, berücksichtigte aber zwei andere Kündigungsgründe bei der Beurteilung, ob die Kündigung unverzüglich ausgesprochen wurde, nicht in anerkennenswerter Weise.
Econocom machte geltend, dass sie erst am 11. bzw. 18./19. März von diesen beiden anderen Kündigungsgründen Kenntnis erhalten habe. Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs hat das Gericht entweder verkannt, dass sich die Prüfung der Frage, ob der Arbeitgeber mit ausreichender Sorgfalt gehandelt hat, auf die Gesamtheit der von ihm als dringlich eingestuften Kündigungsgründe beziehen muss, oder es hat seine Feststellung, dass dies nicht der Fall war, nicht ausreichend begründet.
Der Oberste Gerichtshof hob daher den Beschluss des Erstgerichts auf und verwies die Sache an ein anderes Gericht.
Das Urteil können Sie hier lesen.
Schlussfolgerung
Die fristlose Entlassung ist ein drastisches Mittel. Sind Sie Arbeitgeber und befinden Sie sich in einer Situation, in der Sie eine fristlose Kündigung aussprechen möchten? Wenden Sie sich in diesem Fall unverzüglich an SPEE Rechtsanwälte & Mediation, damit Sie keine Probleme mit dem Erfordernis der "Unverzüglichkeit" bekommen. Vor allem, wenn es mehrere Kündigungsgründe gibt. Auch wenn Sie als Arbeitnehmer mit einer fristlosen Kündigung konfrontiert werden, ist es für Sie von Vorteil, wenn Sie schnell handeln.