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12 Mai 2023 Nichtkonformität: Informationspflicht und Untersuchungspflicht

Streitigkeiten über mangelhafte Waren werden regelmäßig vor den Gerichten ausgetragen. Bei der Beurteilung, ob bestimmte Mängel eine Vertragswidrigkeit darstellen, spielen die Informationspflicht des Verkäufers und die Untersuchungspflicht des Käufers eine Rolle. Nach ständiger Rechtsprechung hat die Informationspflicht Vorrang vor der Untersuchungspflicht. Kürzlich hat der Oberste Gerichtshof erneut über das Verhältnis zwischen der Informations- und der Untersuchungspflicht entschieden. Hält der Oberste Gerichtshof an der Hauptregel fest?

Nichtkonformität
Nichtkonformität bedeutet, dass eine verkaufte Ware nicht vertragsgemäß ist, wenn sie auch in Anbetracht der Beschaffenheit der Ware und der Angaben des Verkäufers über die Ware nicht die Eigenschaften aufweist, die der Käufer aufgrund des Vertrages erwarten konnte. Der Käufer kann erwarten, dass die Ware die für ihre normale Verwendung erforderlichen Eigenschaften besitzt, deren Vorhandensein er nicht zu bezweifeln brauchte, sowie die für eine im Vertrag vorgesehene besondere Verwendung erforderlichen Eigenschaften (Artikel 7:17 des Bürgerlichen Gesetzbuchs).

Die Hauptregel besagt, dass die Informationspflicht Vorrang vor der Untersuchungspflicht hat. Eine Ausnahme von der Hauptregel ist möglich, wenn z. B. Mängel im Voraus angezeigt werden, Mängel sichtbar sind und ein Sachverständiger hinzugezogen wurde. Dies muss gut begründet werden. Dabei werden alle Umstände des Falles berücksichtigt, und das Bedürfnis, einen unvorsichtigen Käufer zu schützen, wiegt in dieser Hinsicht schwer. Die bloße Tatsache, dass ein Käufer unvorsichtig ist, ist kein Freibrief für den Verkäufer, zu schweigen.

Fakten
In dem vor dem Obersten Gerichtshof verhandelten Fall ging es um den Kauf eines Segelcharterschiffs aus dem Jahr 1910 für einen Betrag von 245 000 Euro. Der Kaufvertrag beinhaltete das Recht des Käufers, das verkaufte Objekt vor der tatsächlichen Übergabe von innen und außen zu besichtigen. Außerdem wurde dem Käufer die Möglichkeit eingeräumt, das Schiff (auf seine Kosten) vor der Übergabe trocken zu legen, um das Unterwasserschiff zu inspizieren. Die Kosten für etwaige vom Sachverständigen angeordnete Reparaturen gingen zu Lasten und auf Risiko des Verkäufers. Außerdem garantierte der Verkäufer, dass er dem Käufer die Informationen über das Objekt zur Verfügung gestellt hatte, die nach allgemeiner Auffassung dem Käufer zur Kenntnis gebracht werden sollten.

Kurz nach der Lieferung wurde allmählich deutlich, dass Wasser in das Schiff eingedrungen war. Der Verkäufer wurde aufgefordert, den Mangel auf eigene Kosten beheben zu lassen, und für den Fall, dass er dieser Aufforderung nicht nachkam, wurde die Erstattung der Reparaturkosten gefordert.

Der Käufer fuhr mit dem Leck bis zum Ende der Segelsaison weiter, da zum einen beim Anlegen nur wenig Wasser in das Schiff eindrang und zum anderen ausreichende Mittel vorhanden waren, um das Wasser während der Fahrt abzupumpen.

In der Folgezeit wurden dem Verkäufer vom Käufer weitere Mängel gemeldet, darunter starker Rostbefall. Der vom Käufer beauftragte Sachverständige berichtete diesbezüglich Folgendes:

"Dieser Mangel (starker Rost) ist schon seit längerer Zeit vorhanden. Es handelt sich um einen langsam ablaufenden Prozess, der aufgrund mangelnder und regelmäßiger Wartung in Kombination mit (See-)Wasser an der Oberfläche vor vielen Jahrzehnten begonnen haben könnte.
Dieser Rostprozess muss schon seit vielen Jahren bekannt sein. Der Bereich in der Nähe des Waschraums war mit einem PVC-Abflussrohr mit einem Abflussstopfen versehen. Dieses PVC-Rohr muss vor mehreren Jahren installiert worden sein, und als es installiert wurde, muss dieser starke Rost sofort bemerkt worden sein."

Die Reparaturkosten wurden auf 85.000 € ohne MwSt. geschätzt. Der Käufer trat daraufhin vom Kaufvertrag zurück und leitete ein Verfahren ein.

Urteil des Gerichts und Berufungsgericht
In erster Instanz verlangte der Käufer, dass der Verkäufer zur Zahlung von über 197 000 Euro und zum Ersatz des gerichtlich festzusetzenden Schadens verurteilt wird. Außerdem verlangte der Käufer die Feststellung, dass er den Kaufvertrag ordnungsgemäß annulliert oder aufgelöst hat, oder zumindest, dass der Kaufvertrag annulliert oder aufgelöst worden ist. Der Käufer machte geltend, dass das Schiff nicht vertragsgemäß sei und dass er sich über die Eigenschaften des Schiffes geirrt habe.

Das Gericht wies die Ansprüche des Käufers zurück. In der Berufung wurde das Urteil des Gerichts bestätigt. Dabei vertrat das Gericht die Auffassung, dass die kurz nach der Übergabe festgestellten Mängel angesichts ihres geringen Ausmaßes, der Tatsache, dass sie behoben wurden und das Segelcharterschiff anschließend während der gesamten Saison gefahren wurde, keine Vertragswidrigkeit im Sinne von Artikel 7:17 des Bürgerlichen Gesetzbuchs darstellen.

Die Frage, ob die anderen Mängel, einschließlich des Rostes, eine normale Nutzung des Schiffes verhinderten und somit einen Mangel darstellten, konnte nach Ansicht des Berufungsgerichts offen gelassen werden. Aufgrund der Gesamtheit der Tatsachen und Umstände zum Zeitpunkt des Verkaufsabschlusses konnte der Käufer nicht davon ausgehen, dass diese Mängel nicht vorhanden waren. Der Käufer sei seiner Untersuchungspflicht nicht nachgekommen. Er hatte es versäumt, die Gelegenheit zu nutzen, das mehr als 100 Jahre alte Schiff vor der Lieferung trocken zu legen und zu inspizieren (oder inspizieren zu lassen).

Nach Ansicht des Gerichts gab es auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Verkäufer von den anderen Mängeln wusste. Wenn und soweit davon auszugehen war, dass er die Mängel dem Käufer hätte mitteilen müssen, führte dies nicht dazu, dass der Käufer von seiner Untersuchungspflicht befreit gewesen wäre. Es wurde auch nicht festgestellt, dass der Käufer, wenn der Verkäufer die Mängel dem Käufer mitgeteilt hätte, dies als Grund für weitere Nachforschungen gesehen hätte. Der Käufer hatte bei der Besichtigung gesehen, dass sich Wasser auf dem Rumpf befand, und in der Aussage des Verkäufers, dass es sich dabei um Kondenswasser und/oder Wasser aus einer undichten Zentralheizung handelte, sah er (anscheinend) keinen Grund für eine weitere Untersuchung des Rumpfes und/oder des Schiffskörpers. Es ist nicht auszuschließen, dass dies auch der Fall gewesen wäre, wenn der Verkäufer berichtet hätte, dass das Schiff während der Fahrt Wasser aufnimmt. Hinzu kommt, dass beim Kauf eines (mehr als 100 Jahre alten) Schiffes eine Inspektion des Rumpfes, also des Zustandes des Bodens, so unerlässlich ist, dass von jedem Käufer erwartet werden kann, dass er eine solche Inspektion durchführen lässt. Dies gilt umso mehr, als der Kaufvertrag dem Käufer dies ausdrücklich erlaubt und es sich um eine relativ einfache Untersuchung handelt.

Das Berufungsgericht hat daher den Umstand, dass der Verkäufer die Tatsache der Undichtigkeit zuvor verschwiegen hatte, nicht berücksichtigt und offen gelassen, ob der Verkäufer dies dem Käufer hätte mitteilen müssen.

Urteil des Obersten Gerichtshofs
In der Kassationsbeschwerde wurde gerügt, dass das Berufungsgericht die Grenzen des Rechtsstreits überschritten habe, indem es in seine Beurteilung einbezog, ob der Käufer Anlass zu einer weiteren Inspektion gesehen hätte, wenn der Verkäufer die Tatsache offengelegt hätte, dass das Schiff bereits während der Fahrt vor dem Verkauf Wasser führte.

Das Berufungsgericht hätte verkannt, dass es dem Verkäufer, der seine Infomationspflicht verletzt hat, nach Treu und Glauben im Allgemeinen und im vorliegenden Fall im Besonderen verwehrt ist, sich zur Abwehr eines Mängel- oder Irrtumsvorwurfs darauf zu berufen, der Käufer habe seine Untersuchungspflicht verletzt. Wenn das Gericht dies nicht erkannt hat, hat es seine Auffassung, dass dies in diesem Fall angesichts der Umstände des Falles und der Behauptungen des Käufers anders war, nicht ausreichend begründet.

Der Oberste Gerichtshof stimmte dem zu und hob das Urteil des Gerichts auf. Das Berufungsgericht hat entweder verkannt, dass einem Käufer, auch einem unvorsichtigen, im Allgemeinen nicht vorgeworfen werden kann, er habe die Eigenschaften der verkauften Immobilie nicht hinreichend erforscht, wenn der Verkäufer nach allgemeiner Auffassung eine diesbezügliche Aufklärungspflicht hatte, es aber unterlassen hat, dem Käufer die ihm bekannten tatsächlichen Informationen mitzuteilen, die für die Beantwortung der Frage von Bedeutung sind, welche Eigenschaften der Käufer von der gekauften Immobilie im Hinblick auf ihre beabsichtigte Nutzung erwarten konnte, oder es hat seine Auffassung, dass der vorgenannte Ausgangspunkt im vorliegenden Fall außergewöhnlich ist, nicht hinreichend begründet. Im letzteren Fall hätte das Gericht nämlich die besonderen Umstände des Falles in seine Erwägungen einbeziehen müssen.

Hier hat der Oberste Gerichtshof die Hauptregel bestätigt. Selbst wenn der Vertrag Vereinbarungen über die Untersuchungspflicht des Käufers enthält, gibt dies dem Verkäufer nicht das Recht, zu schweigen. Wenn ein Verkäufer bestimmte relevante Informationen bewusst zurückgehalten hat, kann dem Käufer nicht vorgeworfen werden, er sei seiner Untersuchungspflicht nicht nachgekommen. Ein Abweichen von der Hauptregel, die einen unvorsichtigen Käufer schützen soll, unterliegt einer verschärften Begründungspflicht. Das Berufungsgericht hatte diese Abweichung nicht ausreichend begründet.

Haben Sie Fragen zur Nichtkonformität oder wünschen Sie eine Beratung zu festgestellten Mängeln und daraus resultierenden Schäden? Wenden Sie sich bitte an einen unserer Anwälte. Wir helfen Ihnen gerne weiter.

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