Regelmäßig erhalten wir Fragen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die sich um das Thema „Arbeitsunfähigkeit“ drehen. Die Reintegration eines kranken Arbeitnehmers bereitet – offensichtlich – so manchem Arbeitgeber Kopfzerbrechen. Wenn es sich bei dem kranken Arbeitnehmer um einen Grenzgänger handelt, der in den Niederlanden arbeitet und im Ausland wohnt, gestaltet sich die Reintegration sogar noch komplizierter. Das möchten wir im Folgenden näher ausführen.
Wenn ein Arbeitnehmer sich krankmeldet, dann hat der Arbeitgeber grundsätzlich ein Interesse daran zu erfahren, ob der Arbeitnehmer tatsächlich arbeitsunfähig ist. Bei der Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit kann der Arbeitgeber die Hilfe eines Arbo-Dienstes oder Betriebsarztes in Anspruch nehmen. Mit anderen Worten: Der Arbeitgeber kann nicht selbst feststellen, ob ein Arbeitnehmer arbeitsunfähig ist oder nicht. Das geht unter anderem aus einem Urteil des Amtsgerichts Amsterdam hervor (Voorzieningenrechter Kantonrechter Amsterdam 4 februari 2014, ECLI:NL:RBAMS:2014:564). In diesem Verfahren hatte ein Arbeitgeber seinem kranken Arbeitnehmer fristlos gekündigt, da der Arbeitnehmer sich geweigert hatte, den Geschäftsführer aufzusuchen. Nach Ansicht des Amtsgerichts Amsterdam hatte der Arbeitgeber nicht das Recht, von seinem Arbeitnehmer zu verlangen, ins Büro zu kommen, um dort zu besprechen, ob ein Betriebsarzt einzuschalten war. Das Gericht urteilte, dass dies nicht nur den Grundsätzen, die für einen guten Arbeitgeber gelten, sondern auch den Reintegrationsverpflichtungen widerspricht, die im Gesetz verankert sind. Stattdessen müsse der Arbo-Dienst oder ein (zugelassener) Betriebsarzt beurteilen, ob ein Arbeitnehmer arbeitsunfähig sei. Ferner müsse derselbe Arbo-Dienst bzw. Betriebsarzt eine Empfehlung zur Reintegration des Arbeitnehmers abgeben, da dies nicht die Aufgabe des Arbeitgebers sei. Dementsprechend konnte die fristlose Kündigung (aufgrund der Weigerung des Arbeitnehmers, den Geschäftsführer aufzusuchen) nicht aufrechterhalten werden.
Wenn ein Arbeitgeber Vorschriften in Bezug auf Kontrolle und Arbeitsausfall formuliert, ist unbedingt zu beachten, dass diese Vorschriften angemessen sind, da diese Vorschriften keine unnötige Belastung für den Arbeitnehmer darstellen dürfen. Darüber hinaus dürfen die Vorschriften in Bezug auf Kontrolle und Arbeitsausfall die Privatsphäre des Arbeitnehmers nicht unangemessen beeinträchtigen.
Oft wird ein kranker Arbeitnehmer zur Sprechstunde des Arbo-Dienstes oder des Betriebsarztes eingeladen. Hier in unserer Grenzregion, in der viele Grenzgänger wohnen und arbeiten, ist das allerdings manchmal etwas komplizierter, als die meisten Menschen denken. Was nicht alle wissen, ist, dass ein kranker Arbeitnehmer, der in den Niederlanden arbeitet, aber im Ausland wohnt, in seinem Heimatland von einem Arzt untersucht werden muss (HvJ EG 1992, RSV 1993/227 (Paletta I); HvJ EG 27 maart 1992, RSV 1988/169 (Rindone). Verlangt ein Arbeitgeber von einem kranken Arbeitnehmer, in die Sprechstunde eines Betriebsarztes in den Niederlanden zu gehen, verstößt das grundsätzlich gegen die Anforderung, dass der Gesundheitszustand des Arbeitnehmers zu respektieren ist. Mit anderen Worten: Ein Arbeitnehmer, der in den Niederlanden arbeitet, aber in Belgien oder Deutschland wohnt, muss in seinem Heimatland (also in Belgien oder Deutschland) von einem Arzt untersucht werden und braucht daher nicht in die Niederlande zu fahren, um dort in die Sprechstunde eines Betriebsarztes zu gehen.
In diesem Zusammenhang weisen wir auf ein Urteil des Berufungsgerichts ’s-Hertogenbosch (Hof ’s-Hertogenbosch, 18. Februar 2014, ECLI:NL:GHSHE:2014:451) hin, in dem das Berufungsgericht urteilte, dass die EU-Gesetze vorschreiben, dass der Arbeitgeber nicht von der Arbeitnehmerin verlangen darf, dass sie in die Niederlande fahren muss, um sich dort vom Betriebsarzt untersuchen zu lassen. Ferner urteilte das Berufungsgericht 's Hertogenbosch, dass ein im Ausland tätiger Arbeitnehmer keine Bescheinigung eines Sachverständigen benötigt, um aufgrund von Artikel 7:629a des niederländischen Bürgerlichen Gesetzbuchs (Burgerlijk Wetboek, BW) eine Lohnforderung zu stellen. Das Berufungsgericht 's Hertogenbosch begründet sein Urteil mit dem Verweis auf die EU-Gesetzgebung, deren Ziel es ist, die Freizügigkeit von Arbeitnehmern zu fördern. In diesem Zusammenhang sei zu verhindern, dass ein Arbeitnehmer Schwierigkeiten habe, einen Nachweis zu erbringen. Daher reiche es aus, wenn der Arbeitnehmer bei einem Arzt in seinem Wohnland eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung beantrage und diese dem Arbeitgeber vorlege.
Wenn Sie Arbeitgeber sind und einen oder mehrere Arbeitnehmer beschäftigen, die im Ausland wohnen, ist es wichtig, dass Sie darüber informiert sind und derartige Angelegenheiten (vorzugsweise vorab) angemessen festlegen. Selbstverständlich sollten diesbezügliche Vereinbarungen zu Beginn des Beschäftigungsverhältnisses getroffen werden und nicht erst dann, wenn der Arbeitnehmer sich krank meldet. Wie können Sie das tun? Zum Beispiel sollten Sie Ihr Versäumnisprotokoll entsprechend anpassen. Sie können in Ihrem Versäumnisprotokoll unmissverständliche Anforderungen an die Erklärungen ausländischer Ärzte formulieren (zum Beispiel die Fachrichtung des Arztes und die Informationen, die die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mindestens enthalten muss. Achten Sie in diesem Zusammenhang darauf, dass die Vorschriften keine unangemessene Belastung für den Arbeitnehmer darstellen.
Wenn der Arbeitgeber keine angemessene Regelung festsetzt, kann er seinem Arbeitnehmer nicht vorwerfen, dass in seinem Heimatland eine andere Art der Bescheinigung ausgestellt wird als es im Arbeitsland üblich ist (und der Arbeitgeber eventuell gewohnt ist). Als Arbeitgeber sollten Sie Ihr „Versäumnisprotokoll“ daher also dringend noch einmal genau überprüfen!
Haben Sie noch Fragen? Dann wenden Sie sich gerne an einen unserer Arbeitsrechtsanwälte.